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Vom Körperbewusstsein zum Selbstbewusstsein

Menschen mit Angststörungen können durch komplementärtherapeutische Behandlungen lernen, sich besser zu regulieren und Sicherheit zu gewinnen. Am Beispiel der Craniosacral Therapie zeigt dieser Artikel, wie eine Behandlung ablaufen kann und Betroffene profitieren.

10.10.2023


© Adobe Stock

Sichere und wohlwollende Begleitung

Ein Patient, nennen wir ihn Herr P., leidet unter Angststörungen. Seine Ärztin empfiehlt ihm Craniosacral Therapie als Ergänzung zur Psychotherapie. Nachdem Herr P. erfährt, dass seine Zusatzversicherung einen Teil der Behandlungskosten rückvergütet, vereinbart er einen Termin bei einer Craniosacral Therapeutin in seiner Nähe. In der ersten Craniosacral Therapie-Sitzung erzählt Herr P. der Therapeutin von seinen Angstzuständen. Dabei spricht er auch seine allgemeine Verunsicherung und den damit einhergehenden sozialen Rückzug an. Während Herr P. erzählt, fordert die Therapeutin ihn mehrmals auf innezuhalten und nachzuspüren, welche Gefühle und Körperempfindungen das Erzählen auslöst. Manchmal reflektiert sie ihm wichtige Aussagen zurück, um sicher zu gehen, dass sie ihn richtig verstanden hat. Dadurch spürt Herr P., dass er wirklich verstanden und ernst genommen wird.

© Cranio Suisse®

Ein Gefühl von Verbundenheit und Einheit

Als sich Herr P. auf die Behandlungsliege legt, spürt er rasch, wie sich Aktivitäten in seinem Körper verlangsamen und Ruhe einkehrt. Sein Atem vertieft sich. Gedanken werden weniger, seine Sinne weiten sich und Gefühle haben Raum da zu sein. Durch das achtsame Absprechen und die sanfte Berührung kann er für einen Moment innerlich loslassen. Das ermöglicht das Finden eines neuen inneren Gleichgewichts. Dann nimmt Herr P. wahr, wie eine angenehme innere Wärme seinen Körper durchflutet. Zwischendurch spürt er ein belebendes Kribbeln, an einigen Stellen zuckt es sogar, weil die Muskeln die Spannung freigeben. Zugleich bestätigt ihm sowohl der verbale Kontakt wie auch der Kontakt über die Hände der Therapeutin, dass er bei seinem inneren Prozess vertrauensvoll und wohlwollend begleitet wird. Ein Gefühl von tiefer Verbundenheit und Einheit breitet sich in ihm aus.

Wieder zu Atem kommen

Auf einmal jedoch werden Herr P. die Gefühle, die hochkommen, beinahe zu viel. Sein Herz beginnt heftig und schnell zu schlagen, es wird eng in seinem Brustraum und Angst steigt auf. Die Therapeutin bleibt ruhig und präsent an seiner Seite. Sie gibt Herrn P. zu verstehen, dass er mit seinen Gefühlen nicht alleine ist. Sanft fordert sie ihn auf, seinen Atem zu vertiefen, seinen Körper in Kontakt mit der Massageliege zu spüren und einen Ort im Körper aufzusuchen, der sich im Moment relativ ruhig anfühlt. Diese kleinen Interventionen unterstützen Herrn P. darin, sich wieder regulieren zu können. Zugleich vermittelt ihm die Therapeutin damit das Gefühl, dass er seinen Gefühlen nicht ausgeliefert ist. Dies ermöglicht ihm seine Gefühle bewusst zu erforschen, statt sich von ihnen abwenden zu müssen.

Der Unterschied zwischen damals und heute

Im abschliessenden Gespräch wird Herrn P. bewusst, dass die Angst in dem Moment aufgekommen ist, als er losgelassen und die Kontrolle abgegeben hat. Plötzlich taucht vor seinem inneren Auge ein Bild auf, wie er als Kind von seinem alkoholisierten Vater verprügelt wurde, wenn er nicht aufpasste und ihm aus dem Weg ging. Die Craniosacral Therapeutin bezeugt diese Erinnerung empathisch und lädt anschliessend Herrn P. ein, sich im Raum umzusehen und wahrzunehmen, wo er jetzt gerade ist. Dadurch wird Herrn P. bewusst, dass er nicht mehr der wehrlose Junge von damals ist, sondern ein erwachsener Mann in Sicherheit. Im Laufe des therapeutischen Prozesses wird Herr P. immer besser lernen, bewusst den Wechsel vom ausgelieferten Kind zum erwachsenen Mann zu vollziehen. Loslassen und Hingabe werden wieder ohne Angstgefühle möglich werden.

Stück für Stück ins Vertrauen

Herr P. fühlt sich in der Beziehung zu seiner Craniosacral Therapeutin sicher und verstanden. Am Schluss der Sitzung stellt er erstaunt fest, wie viel sich bereits in dieser einen Stunde bewegt und zum Positiven verändert hat. Durch das Gefühl von Sicherheit und Verbundenheit konnte sich sein Nervensystem wieder besser regulieren, was eine Regeneration des gesamten Organismus ermöglicht hat. Die Produktion von Stresshormonen hat sich zu sogenannten Wohlfühlhormonen verlagert. Dank dieser bewussten und integrierten Erfahrung wird es ihm auch ausserhalb der Therapiesitzung besser und nachhaltiger gelingen, diesen ausgeglichenen, leichteren Zustand wiederzufinden. Das sichere Setting der Craniosacral Therapie bietet in vielfacher Hinsicht erste Übungsmöglichkeiten, um neue, allenfalls auch korrigierende Erfahrungen zu machen. Herr P. vereinbart einen zweiten Termin.

Behandlungssituation Craniosacral Therapie

© Cranio Suisse®

KomplementärTherapeut*innen helfen ihren Klient*innen, die Botschaften des Körpers wahrzunehmen und zu verstehen und daraus gezielt Sicht- und Handlungsweisen abzuleiten, um den eigenen Genesungsprozess zu unterstützen. Körperbewusstsein ist eine Voraussetzung für Selbstbewusstsein und damit ein Schlüssel im Umgang mit Ängsten.

Autorin:

Cranio Suisse®, Schweizerische Gesellschaft für Craniosacral Therapie, www.craniosuisse.ch


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